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Ist die Corona-Warn-App nutzlos?
8/2020

Corona-Warn-App

Mit der Corona-Warn-App für Deutschland können Kontakte mit anderen Personen nachverfolgt werden, um Kontaktpersonen von bestätigten Corona-Infizierten frühzeitig zu informieren.
Die Corona-Warn-App nutzt die sogenannte DP-3T-Technologie, mit der über Bluetooth anonymisiert ermittelt werden kann, wie nah und wie lange zwei Nutzer in Kontakt stehen.
Die Tracing-Daten werden hierbei dezentral gespeichert, also nur auf dem Handy selbst. Dafür muss die App auf beiden Geräten installiert und eingeschaltet sein. Ortsdaten und Namen der Kontaktpersonen werden nicht erfasst. Bei einem Kontakt werden lediglich anonymisierte Zahlencodes zwischen den beiden Smartphones ausgetauscht und lokal gespeichert.
Wird bei einem der beiden Nutzer das Coronavirus nachgewiesen, wird nach Zustimmung des bestätigten Corona-Infizierten eine Warn-Nachricht an alle App-Nutzer gesendet, mit denen der Erkrankte während seiner Inkubationszeit Kontakt hatte.

Soweit sogut.

17 Millionen Nutzer

Die Corona-Warn-App für  Deutschland wurde am 16. Juni 2020 veröffentlicht. Die Kosten für die App werden bis Ende 2021 mit 67,45 Millionen Euro veranschlagt - ohne Webungs- und Marketingkosten. (4)
Fast 16 Millionen Nutzer haben die App in den ersten Wochen heruntergeladen. Doch der Hype um die Corona-App hielt nicht lange an. Schon nach vier Tagen war die 10-Millionen-Marke geknackt, nach zwei Wochen lagen die Downloads bei knapp 15 Millionen. Seitdem tut sich nicht mehr viel. Für weitere zwei Millionen brauchte es dann schon vier Wochen. Seitdem herrscht Stagnation. Ein dramatischer Anstieg ist kaum noch zu erwarten. (1)

Wie viele Menschen die Corona-App dann tatsächlich nutzen, ist nicht bekannt. Das hat Datenschutzgründe.
11/2020 nutzen mehr als die Hälfte der Deutschen die App nicht. (5)

Die App schützt einen nicht vor Ansteckung. Das ist bekannt.
Sie sagt nur mit Verzögerung, dass man sich irgendwann in den letzten zwei Wochen für mindestens 15 Minuten in unmittelbarer Nähe eines Infizierten aufgehalten hat.

Werden alle Infizierte erfasst?

Derzeit (August 2020) werden in Deutschland täglich ungefähr 1.000 Corona-Positive ans RKI gemeldet. Deren ansteckende Phase hält laut RKI etwa acht bis neun Tage an. Das bedeutet, dass in Deutschland um die 9.000 aktiv Infizierte herumlaufen. Morgen sind es ähnlich viele. Es kommen neue dazu, aber dafür fallen die von vor zehn Tagen weg. Die sind ja dann nicht mehr ansteckend.

Tatsächlich sind es aber viel mehr als diese 9.000 bekannten Infizierten.
Die 9.000 sind nur die erkannten, positiv Getesteten. Dazu kommt die Dunkelziffer.
Das RKI spricht von einem Faktor zwischen 4,5 und 11, um den die Anzahl an Infizierten wohl größer ist als angegeben.
Bei einem Faktor 11 ergibt sich, dass aktuell deutschlandweit nicht nur 9.000, sondern um die 100.000 aktiv Infizierte herumlaufen.
Für eine Warnmeldung per Corona-App kommen aber die neun Prozent Erkannten infrage. Die übrigen 91 Prozent, die im Dunkel der Nichterfassung agieren, wissen ja nicht einmal selbst, dass sie infiziert sind.

Von 83 Millionen Einwohnern haben laut RKI bisher 16,9 Millionen die Corona-App heruntergeladen (Stand: 11.8.). Das sind 20 Prozent der Gesamtbevölkerung.
Von unseren 9.000 erkannten Infizierten kann also statistisch nur jeder Fünfte seine Infektion per App mitteilen (da ja nur 20% der Bevölkerung die App heruntergeladen haben). Damit sind wir bei nur noch 1.800 potenziellen Warnern.

Legt man die App-Nutzungszahlen in der Schweiz zugrunde (für Deutschland gibt es keine Zahlen) hatten Mitte Juli 1,75 Millionen Bürger die dortige Corona-App heruntergeladen. Aktiv genutzt wurde sie jedoch nur von einer Million. Das heißt: Von 100 Leuten, die die App auf ihrem Händy installieren, nutzen in der Schweiz nur 57 die App.
Wenn wir dieses Verhältnis auf Deutschland übertragen, bleiben von unseren 1.800 möglichen Corona-Informanten nur noch 57 Prozent übrig, also ungefähr 1.000 App-User, die ihre Ansteckung mit dem Smartphone weitermelden könnten. (2)

Erschreckend niedrig

Man kann also zusammenfassen: Nach qualifizierter Schätzung laufen in diesem Moment möglicherweise um die 100.000 Corona-Ansteckende durch Deutschland. Nur 1.000 davon, also 1 (in Worten: Eins) Prozent, könnten nach positivem Test ihre Infektion per Corona-Warn-App melden. Das bedeutet: Statistisch wird höchstens jede hundertste potenziell gefährliche Begegnung mit einem Virenverbreiter nachträglich gemeldet.

Auch wenn die Nutzerzahlen der App sich verdoppeln sollten (also von 17 auf 34 Millionen), wäre es rechnerisch immer noch höchstens jede fünfzigste Begegnung mit einem Ansteckenden, die mir gemeldet wird.

Ein weiteres Problem:

Nach einem Monat waren 15,6 Millionen App-Downloads erreicht – aber nur maximal 400 über die App gemeldete Infektionen. So schätzt das RKI auf Basis der ausgegebenen TAN-Codes, die man benötigt, um seine Infektion in die App einzutragen. Wie viele Infizierte die Codes tatsächlich nutzten, ist nicht bekannt. (3)

Für diese vier Wochen meldet das RKI insgesamt aber 15.000 positiv Getestete. Wenn wir – wie oben – Faktor 11 annehmen, um die Zahl der tatsächlich Infizierten zu erhalten, landen wir bei 165.000 neuen aktiv Infizierter von Mitte Juni bis Mitte Juli. 400 Meldungen gegenüber 165.000 Infektionen ergibt eine Quote von gerade mal 0,24 Prozent. Anders ausgedrückt: Im Schnitt wird mir nicht einmal jede vierhundertste potenziell ansteckende Begegnung mit einem Infizierten per App gemeldet.

Selbst wenn wir bei der Dunkelziffer vom niedrigsten Faktor ausgehen, nämlich 4,5, sieht es nicht viel besser aus. Dann wären es statt 165.000 nur 67.500 Infizierte gewesen. 400 Meldungen bei 67.500 Infizierten machen eine Quote von 0,59 Prozent. Umgerechnet: In diesem Fall könnte ich davon ausgehen, dass mir ungefähr jeder hundertsiebzigste gefährliche Kontakt per Handy gemeldet wird. Von den 169 anderen nicht minder riskanten Begegnungen erfahre ich nichts.

Und noch ein Problem:

Hinzu kommt noch etwas anderes, nämlich die hohe Wahrscheinlichkeit von Falschmeldungen. Die Entfernungsmessung per Bluetooth ist ungenau, und die App weiß nicht, ob ich im Restaurant oder vor dem Restaurant sitze. Ebensowenig merkt mein Handy, ob sich zwischen mir und dem Infizierten eine Plexischeibe, eine Mauer oder gar nichts befindet. (4)

Zusammenfassung

Zusammenfassung: Angenommen, Ihnen bietet jemand eine Alarmanlage fürs Eigenheim an. Diese Anlage meldet Ihnen – mit Verspätung – nur jeden hundertsten oder vierhundertsten Einbruchsversuch. Zwischendurch raubt sie Ihnen mit Fehlalarmen den Schlaf. Würden Sie diese einbauen?

Entscheiden Sie selbst über den Nutzen der Corona-Warn-App.